Online-Sportzeitung für den Norden 20_20

FUSSBALL 2. BUNDESLIGA SEITE 03 genau auf Müller setzte (66.). Dies rächte sich, denn in der 80. Minute kamen die Hausherren zum Ausgleich: Nach Marc Schnatterers Eckstoß konnten die Gäste den Ball nicht weit ge- nug klären und die folgende Flanke traf Tim Kleindienst nicht richtig – doch genau deshalb lenkte Pechvogel Beyer den Ball zum 1:1 in das eigene Netz. Noch war nichts passiert aus Sicht der Hamburger, denn sie lagen im Klassement ja weiter- hin zwei Zähler vor ihrem Geg- ner. Der eingewechselte David Kinsombi schnupperte sogar an der erneuten HSV-Führung, doch seinen satten Aufsetzer parierte Müller (81.). Die Heidenheimer wollten nun aber mehr: Sie drängten und drückten. Einen Kleindienst- Schuss blockte Timo Letschert noch ab (90.) und Schimmer verzog deutlich (94.), ehe es in der 95. Minute doch noch pas- sierte: Gegen die sehr offen ste- henden Hamburger jagte Schnatterer den Ball von links gen langen Pfosten, wo Schim- mer weiterleitete zu Kerschbau- mer, der Jung tunnelte und zum 2:1 in das linke Eck einschoss. Wieder ein Drama, das aus HSV-Sicht mit einem Albtraum endete. Der Direkt-Aufstieg ist für die Hamburger nun verspielt, da der VfB Stuttgart beim 1. FC Nürnberg mit 6:0 gewann. Und den Relegationsrang können die „Rautenträger“ nur noch er- reichen, wenn die Heidenheimer am Sonntag, 28. Juni beim be- reits als Zweitliga-Meister fest- stehenden DSC Arminia Biele- feld nicht gewinnt. Die Ausgangsposition wäre komplett anders gewesen, wenn die Hamburger am Dienstag- abend den VfL Osnabrück ge- schlagen hätten. Hier gab es beim Stand von 1:1 in der Nach- spielzeit noch einmal einen Eck- stoß. Während Aaron Hunt den Ball von rechts hereinschlug, wurde Letschert im Gäste-Straf- raum vom frisch eingewechsel- ten Osnabrücker Benjamin Girth niedergerungen. Obwohl Schiedsrichter Dr. Martin Thom- sen (vom SV Donsbrüggen) nicht von der Sonne geblendet wurde, sah er die Szene ver- mutlich nicht – und zeigte des- halb nicht Girth die Gelbe Karte sowie auf den „ominösen“ Punkt, sondern zückte stattdes- sen „Gelb“ gegen den vehement protestierenden Letschert. Merkwürdig ist allerdings, dass Video-Schiedsrichter Günter Perl (MSV München) sich nicht meldete. Der 50-Jährige hätte zumindest dahingehend interve- nieren müssen, dass Dr. Thom- sen sich selbst die Szene noch einmal auf dem Bildschirm an- schaut. Und da der Referee aus Kleve in den vorherigen 94 Mi- nuten eine sehr kleinliche Linie an den Tag gelegt hatte, hätte seine Entscheidung Strafstoß lauten müssen. Zu diesem Er- gebnis kam neben mehreren TV-Experten auch das Fachma- gazin „Kicker“. Und HSV-Coach Dieter Hecking haderte auf der Pressekonferenz, die für die auf der Osttribüne verharrenden Journalisten-Schar via Zoom- Konferenz übertragen wurde: „Wenn ich die Szene bei Sky sehe, muss ich den Schiedsrich- tern und vor allem auch den Vi- deo-Assistenten hart kritisieren. Das ist ein ganz klarer Elfmeter, ich weiß nicht, warum Herr Perl da nicht eingegriffen hat von au- ßen. Das ist für mich unent- schuldbar, auch wenn wir den Sieg vielleicht heute aufgrund unserer Leistung nicht verdient hätten, hätten wir mit einem Elf- meter in der 90. Minute gewin- nen und für das Spiel in Heiden- heim eine ganz andere Aus- gangssituation haben können. Da muss ich heute wirklich eine deutliche Kritik am Schiedsrich- ter-Gespann äußern – in der Szene gibt es für mich keine zwei Meinungen, das war ein klarer Elfmeter.“ Oder gilt bei Perl etwa das Motto „Im Zweifel gegen den HSV“? Zur Erinnerung: Vor gut zwei Jahren war es der Unpar- teiische aus dem bayrischen Pullach im Isertal, der am vor- letzten Spieltag der Saison 2017/2018 als Video-Schieds- richter eingriff, als Schiedsrich- ter Aytekin im HSV-Spiel bei der SG Eintracht Frankfurt das Tor von Tatsuya Ito zur 1:0-Führung der „Rothosen“ anerkannt hatte und auf Abseits votierte. Dies war insofern umstritten, als dass es die Anweisung an die Video- Schiedsrichter gab, dass sie „nur bei klaren Fehlentscheidun- gen eingreifen“ sollten – der Ja- paner Ito aber an jenem 5. Mai 2018 beim Pass von Hunt, wenn überhaupt, nur Zentimeter in der „verbotenen Zone“ stand ... Nun war der Abstieg der „Rau- tenträger“ im Mai 2018 sicher nicht unverdient und auch kei- nesfalls nur auf Perls Interven- tion zurückzuführen, sondern mit zahlreichen Fehlentschei- dungen sowie jahrelanger Miss- wirtschaft an der Elbe zu be- gründen. Aber wenn die Ham- burger seinerzeit in Frankfurt mit 1:0 in Führung und als Sieger vom Platz gegangen wären, an- statt mit 0:3 zu verlieren, hätten sie am letzten Spieltag aus ei- gener Kraft den Relegations- rang 16 erreichen können. Durch die Niederlage am Main musste der HSV mit zwei Zäh- lern Rückstand auf den Drittletz- ten VfL Wolfsburg den Gang in die Zweitklassigkeit antreten, während sich die „Wölfe“ in der Relegation gegen Holstein Kiel retteten (3:1 heim und 1:0 aus- wärts). Aktuell bleibt festzuhalten, dass der HSV aufgrund seiner offen- siven Ideenlosigkeit sowie eini- ger Abwehr-Wackler gegen die Osnabrücker keinen Sieg ver- dient gehabt hätte. Aber wenn Perl eingegriffen, Dr. Petersen auf den Punkt gezeigt und Hunt auch seinen fünften Elfmeter in dieser Saison verwandelt hätte, wäre Heckings Team sicher als Tabellen-Zweiter und vor allem mit einem Vier-Punkte-Vor- sprung auf den Rang-Vierten 1. FC Heidenheim zum direkten Duell in der Voith-Arena ange- treten. Sprich selbst im Falle ei- ner Niederlage auf der Ostalb wären die „Rothosen“ im Klas- sement vor ihrem Gegner ge- blieben und hätten am letzten Spieltag am Sonntag, 28. Juni gegen den SV Sandhausen 1916 aus eigener Kraft zumin- dest das Erreichen des Relega- tionsrangs drei perfekt machen können. Bleibt noch die Erinnerung da- ran, dass Perl, hauptberuflich Groß- und Außenhandelskauf- mann, in der vergangenen Erst- liga-Saison schon einmal als Vi- deo-Schiedsrichter versagte und den VfB Stuttgart, einen heutigen Aufstiegs-Konkurren- ten des HSV, benachteiligte. Im Erstliga-Spiel der Schwaben bei Hertha BSC Berlin übersah er in der 37. Minute beim Stand von 0:0 ein klares Handspiel des Berliners Kerim Rekik, was er anschließend auch zugab. Der heute 50-Jährige entschul- digte sich sogar für seinen Feh- ler, den er damit begründete, dass er sich im Moment des Handspiels ein vorheriges Foul angeschaut habe. Diese Aus- rede kann er für sein Nicht-Ein- greifen am Dienstagabend nicht anführen – und die blendende Sonne auch nicht ... BS Eine enge Angelegenheit: Jeremy Dudziak (HSV, rechts) im Duell mit dem Hei- denheimer Niklas Dorsch. Foto: Eibner-Pressefoto/Sascha Walther

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